Vati versunken in sein Gitarrenspiel
Morgendliche Gitarrenklänge im Elternhaus
In meiner Kindheit begann der Morgen immer mit einer besonderen Art von Zeremonie. Bereits im ersten Tagesschimmer hörte man aus dem Wohnzimmer herauf leise Gitarrentöne. Diese begannen mit ein paar prüfend gezupften Saiten, dazwischen dem drehenden Geräusch der Saitenspanner sowie einigen vorsichtigen Akkorden.
Nach einer kleinen Pause, in der sich das Aroma von frisch gebrühtem Kaffee bis ins Obergeschoß verbreitete, verkündeten schließlich die träumerisch-fernen Melodien von Mauro Giuliani, Fernando Carulli oder Vivaldi den neuen Tag. Wenn mein Vater später, nachdem die Eltern noch gemeinsam gefrühstückt hatten, von unserer Mutti plaudernd verabschiedet war und man oft noch den Dynamo seines Fahrrads auf der Straße hören konnte, mussten auch wir Kinder aufstehen.
Das Wohnzimmer-Quintett
Gesellige Stimmung herrschte bei uns damals an manchen Sonntagen. Da begleitete mein Vater nämlich mit seiner Gitarre das musikalische Zusammenspiel einiger Gäste, die sich bei Kaffee und Kuchen eingefunden hatten. Der schweigsame alte Herr Kremser strich dann seinen Kontrabass, Vatis Bruder Walter spielte die Bratsche, seine beiden Söhne die Violinen. Boccherini, Mozart, Beethoven und Vivaldi las man über den Noten. Manche Stücke wurden vorher noch schnell umgeschrieben, weil nicht alle vorgesehenen Instrumente vorhanden waren.
Manchmal gab es Kritik aus den Reihen der Mitspieler, wenn ein Spieler sich nicht genau an den Takt hielt. Der Onkel klopfte dann wohl den Rhythmus mit seinem Geigenbogen gegen das Notenheft vor. Und der Betroffene knurrte etwas mürrisch vor sich hin. Kurz darauf ging es jedoch wieder frisch und flott im nächsten Satz weiter…
Es gibt irgendwo noch ein Foto, wo unser Vati, halb über die Gitarre gebeugt, tief in die Noten versunken, vor dem kleinen runden Wohnzimmer-Tischchen sitzt. Ein gewohntes Bild für uns damals, das ich heute noch manchmal im Traum vor mir sehe.
Später musizierte auch mein älterer Bruder in diesem Kreise mit, nachdem er sehr ernsthaft und konsequent Geige spielen gelernt hatte.
Muttis singende Verwandtschaft
Die lustigste Stimmung aber trat jedes Mal ganz unerwartet auf! Und das geschah, wenn Muttis Familie zu Besuch kam. Unangemeldet meist, hielt plötzlich ein Auto vor dem Haus. Und heraus quoll die ganze Passauer, Wiener oder Pasinger Verwandtschaft! Fast immer kamen alle gemeinsam und füllten das Wohnzimmer mit Schnattern und Gelächter und mit ihren übermütigen Liedern.
Gesungen wurde eigentlich immer, wenn Verwandtschaft kam! Mein Vater holte dann seine Gitarre von der Wand und begleitete jedes Lied, das die aufgekratzte Gesellschaft vorschlug. Das fing mit den etwas ernsteren Texten an, wie dem „Lied der Prager Studenten“ von Eichendorff – oder mit dem „König von Thule“. Bald aber kam man schon zu den „lustigen Hannoveranern“ und landete unweigerlich bei den alten Studentliedern, wie „Gaudeamus igitur“ oder beim Ritter „Hadubrand“! Begeistert taten auch wir Kinder mit, während unsere Mutter zu jeder Melodie sogleich die zweite Stimme sang.
Natürlich war auch jetzt wieder Kuchen aufgetischt und Kaffee gekocht worden! Und einige Stühle hatte man hereingetragen, damit alle Gäste Platz fanden. Unser Vater brachte noch eine Flasche Wein aus dem Keller – und alle redeten auf einmal.
Der Pentenrieder Singkreis
Obwohl meine Mutter das einzige Kind in ihrer Familie war, das kein Instrument spielte, war sie doch sehr musikalisch. So konnte sie zu jedem Lied, das sie nur einmal hörte, sogleich eine zweite Stimme singen!
Kein Wunder also, dass sie von ihrem Schwager gleich in den neuen Pentenrieder Gesangverein geholt wurde. Der „Singkreis Pentenried“, soweit ich mich erinnere, verdankte sein Entstehen unserem Onkel Walter sowie den beiden Oberlehrern, Herrn Heckl* senior und Herrn Elsner. Die musikalische Leitung lag jedoch bei einem Herrn Wallisch, von dem man sich erzählte, dass er zwar keine Noten lesen könne aber das absolute Gehör besitze. Da er jedoch auch noch verschiedene Instrumente spielte, musste er wohl ein naturbegabtes Genie gewesen sein!
Oder konnte er vielleicht doch die Noten lesen?
Jedenfalls sang ein großer Teil der Pentenrieder Bürger begeistert in diesem neuen Chor, dem „Pentenrieder Singkreis“ mit. Dabei erklangen auch die alten Heimatlieder, wie man sie früher in der Jugend wohl gesungen hatte. Daneben aber trat der Chor auch bei feierlichen Gelegenheiten mehrstimmig in der Öffentlichkeit auf. Der Jägerchor aus dem Freischütz, der Chor der Gefangenen aus Nabucco, anspruchsvolle Weihnachtslieder oder Frühlingsmelodien wurden vom Singkreis dargeboten.
Wehmütige Lieder erklangen dagegen in der geschmückten Kiesgrube, am lodernden Sonnwendfeuer**. Es war ein Gruß an die alte Heimat, deren Verlust viele Pentenrieder damals noch nicht verkraftet hatten.
Zum Singkreis aber gehörten nicht nur diese melancholischen Weisen! Auch lustige Sketche wurden aufgeführt (Franz Schlosser und Franz Hanika waren hierbei wohl die großen Meister!). Es gab übermütige Faschingsfeiern**, spaßige Theaterszenen kamen auf die gezimmerte Holzbühne. Es wurde Bier und Wein getrunken und mancher Spaß dabei ausgeheckt.
Heute findet das traditionelle Sonnwendfeuer zwar noch jedes Jahr auf dem Sportplatz vor der Römertraße statt. Dabei wird aber nicht mehr gesungen! Es gibt Steckerlfisch und bayerisches Bier…
Immerhin konnten manche Pentenrieder Sänger später im Kirchenchor unterkommen! Diesen Chor leitete damals Herr Ponzer.
Der alte Herr Bielohlawek
Zum Abschluss meiner musikalischen Erinnerungen, möchte ich mir noch einmal den alten Herrn Bielohlawek ins Gedächtnis rufen! Diesen geistigen – oder besser noch – musikalischen Vater so vieler Pentenrieder Kinder. Als ein stiller, bescheidener Mann, der nur seinen Schülern gegenüber eine gewisse Strenge ausüben konnte, machte er kein Aufhebens davon, dass er früher einmal bei den Prager Philharmonikern gespielt hatte.
Als Pädagoge ließ er bei allen Musikveranstaltungen, seien es die Muttertags, Weihnachts oder Faschingsfeste oder die ersten kirchlichen Messfeiern im Saal des Gasthofs Lorenz auch immer seine Schüler aufspielen! Seine Schüler sollten Übung im öffentlichen Auftreten bekommen, Selbstsicherheit, Freude am Musizieren und Erfolg. Mindestens drei dieser Schüler sind später Berufs-Musiker geworden! Doch das Klavier, die Violine, das Harmonium, das Akkordeon und die Flöte, sie alle gehorchten vor allem ihm, dem alten Zaubermeister Heinrich Bielohlawek!
J. A.
*Herwig Heckl schreibt, dass sein Großvater, Friedrich Heckl, der Schriftführer des Pentenrieder Singkreises gewesen ist. Es gibt noch ein Tagebuch mit dessen gewissenhaften Aufzeichnungen.
**Das Sonnwendfeuer oder auch Johannisfeuer wurde in den alten österreichischen Ländern jedes Jahr am 21. Juni, am Johannistag entzündet.
Soweit ich mich erinnere, wurde der Singkreis Pentenried von meinem Onkel Walter Löschner, von Friedrich Heckl sen. und von Karl Elsner gegründet. Es könnten aber noch mehr Gründer gewesen sein.
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Morgendliche Gitarrenklänge im Elternhaus
In meiner Kindheit begann der Morgen immer mit einer besonderen Art von Zeremonie. Bereits im ersten Tagesschimmer hörte man aus dem Wohnzimmer herauf leise Gitarrentöne. Diese begannen mit ein paar prüfend gezupften Saiten, dazwischen dem drehenden Geräusch der Saitenspanner sowie einigen vorsichtigen Akkorden.
Nach einer kleinen Pause, in der sich das Aroma von frisch gebrühtem Kaffee bis ins Obergeschoß verbreitete, verkündeten schließlich die träumerisch-fernen Melodien von Mauro Giuliani, Fernando Carulli oder Vivaldi den neuen Tag. Wenn mein Vater später, nachdem die Eltern noch gemeinsam gefrühstückt hatten, von unserer Mutti plaudernd verabschiedet war und man oft noch den Dynamo seines Fahrrads auf der Straße hören konnte, mussten auch wir Kinder aufstehen.
Das Wohnzimmer-Quintett
Gesellige Stimmung herrschte bei uns damals an manchen Sonntagen. Da begleitete mein Vater nämlich mit seiner Gitarre das musikalische Zusammenspiel einiger Gäste, die sich bei Kaffee und Kuchen eingefunden hatten. Der schweigsame alte Herr Kremser strich dann seinen Kontrabass, Vatis Bruder Walter spielte die Bratsche, seine beiden Söhne die Violinen. Boccherini, Mozart, Beethoven und Vivaldi las man über den Noten. Manche Stücke wurden vorher noch schnell umgeschrieben, weil nicht alle vorgesehenen Instrumente vorhanden waren.
Manchmal gab es Kritik aus den Reihen der Mitspieler, wenn ein Spieler sich nicht genau an den Takt hielt. Der Onkel klopfte dann wohl den Rhythmus mit seinem Geigenbogen gegen das Notenheft vor. Und der Betroffene knurrte etwas mürrisch vor sich hin. Kurz darauf ging es jedoch wieder frisch und flott im nächsten Satz weiter…
Es gibt irgendwo noch ein Foto, wo unser Vati, halb über die Gitarre gebeugt, tief in die Noten versunken, vor dem kleinen runden Wohnzimmer-Tischchen sitzt. Ein gewohntes Bild für uns damals, das ich heute noch manchmal im Traum vor mir sehe.
Später musizierte auch mein älterer Bruder in diesem Kreise mit, nachdem er sehr ernsthaft und konsequent Geige spielen gelernt hatte.
Muttis singende Verwandtschaft
Die lustigste Stimmung aber trat jedes Mal ganz unerwartet auf! Und das geschah, wenn Muttis Familie zu Besuch kam. Unangemeldet meist, hielt plötzlich ein Auto vor dem Haus. Und heraus quoll die ganze Passauer, Wiener oder Pasinger Verwandtschaft! Fast immer kamen alle gemeinsam und füllten das Wohnzimmer mit Schnattern und Gelächter und mit ihren übermütigen Liedern.
Gesungen wurde eigentlich immer, wenn Verwandtschaft kam! Mein Vater holte dann seine Gitarre von der Wand und begleitete jedes Lied, das die aufgekratzte Gesellschaft vorschlug. Das fing mit den etwas ernsteren Texten an, wie dem „Lied der Prager Studenten“ von Eichendorff – oder mit dem „König von Thule“. Bald aber kam man schon zu den „lustigen Hannoveranern“ und landete unweigerlich bei den alten Studentliedern, wie „Gaudeamus igitur“ oder beim Ritter „Hadubrand“! Begeistert taten auch wir Kinder mit, während unsere Mutter zu jeder Melodie sogleich die zweite Stimme sang.
Natürlich war auch jetzt wieder Kuchen aufgetischt und Kaffee gekocht worden! Und einige Stühle hatte man hereingetragen, damit alle Gäste Platz fanden. Unser Vater brachte noch eine Flasche Wein aus dem Keller – und alle redeten auf einmal.
Der Pentenrieder Singkreis
Obwohl meine Mutter das einzige Kind in ihrer Familie war, das kein Instrument spielte, war sie doch sehr musikalisch. So konnte sie zu jedem Lied, das sie nur einmal hörte, sogleich eine zweite Stimme singen!
Kein Wunder also, dass sie von ihrem Schwager gleich in den neuen Pentenrieder Gesangverein geholt wurde. Der „Singkreis Pentenried“, soweit ich mich erinnere, verdankte sein Entstehen unserem Onkel Walter sowie den beiden Oberlehrern, Herrn Heckl* senior und Herrn Elsner. Die musikalische Leitung lag jedoch bei einem Herrn Wallisch, von dem man sich erzählte, dass er zwar keine Noten lesen könne aber das absolute Gehör besitze. Da er jedoch auch noch verschiedene Instrumente spielte, musste er wohl ein naturbegabtes Genie gewesen sein!
Oder konnte er vielleicht doch die Noten lesen?
Jedenfalls sang ein großer Teil der Pentenrieder Bürger begeistert in diesem neuen Chor, dem „Pentenrieder Singkreis“ mit. Dabei erklangen auch die alten Heimatlieder, wie man sie früher in der Jugend wohl gesungen hatte. Daneben aber trat der Chor auch bei feierlichen Gelegenheiten mehrstimmig in der Öffentlichkeit auf. Der Jägerchor aus dem Freischütz, der Chor der Gefangenen aus Nabucco, anspruchsvolle Weihnachtslieder oder Frühlingsmelodien wurden vom Singkreis dargeboten.
Wehmütige Lieder erklangen dagegen in der geschmückten Kiesgrube, am lodernden Sonnwendfeuer**. Es war ein Gruß an die alte Heimat, deren Verlust viele Pentenrieder damals noch nicht verkraftet hatten.
Zum Singkreis aber gehörten nicht nur diese melancholischen Weisen! Auch lustige Sketche wurden aufgeführt (Franz Schlosser und Franz Hanika waren hierbei wohl die großen Meister!). Es gab übermütige Faschingsfeiern**, spaßige Theaterszenen kamen auf die gezimmerte Holzbühne. Es wurde Bier und Wein getrunken und mancher Spaß dabei ausgeheckt.
Heute findet das traditionelle Sonnwendfeuer zwar noch jedes Jahr auf dem Sportplatz vor der Römertraße statt. Dabei wird aber nicht mehr gesungen! Es gibt Steckerlfisch und bayerisches Bier…
Immerhin konnten manche Pentenrieder Sänger später im Kirchenchor unterkommen! Diesen Chor leitete damals Herr Ponzer.
Der alte Herr Bielohlawek
Zum Abschluss meiner musikalischen Erinnerungen, möchte ich mir noch einmal den alten Herrn Bielohlawek ins Gedächtnis rufen! Diesen geistigen – oder besser noch – musikalischen Vater so vieler Pentenrieder Kinder. Als ein stiller, bescheidener Mann, der nur seinen Schülern gegenüber eine gewisse Strenge ausüben konnte, machte er kein Aufhebens davon, dass er früher einmal bei den Prager Philharmonikern gespielt hatte.
Als Pädagoge ließ er bei allen Musikveranstaltungen, seien es die Muttertags, Weihnachts oder Faschingsfeste oder die ersten kirchlichen Messfeiern im Saal des Gasthofs Lorenz auch immer seine Schüler aufspielen! Seine Schüler sollten Übung im öffentlichen Auftreten bekommen, Selbstsicherheit, Freude am Musizieren und Erfolg. Mindestens drei dieser Schüler sind später Berufs-Musiker geworden! Doch das Klavier, die Violine, das Harmonium, das Akkordeon und die Flöte, sie alle gehorchten vor allem ihm, dem alten Zaubermeister Heinrich Bielohlawek!
J. A.
*Herwig Heckl schreibt, dass sein Großvater, Friedrich Heckl, der Schriftführer des Pentenrieder Singkreises gewesen ist. Es gibt noch ein Tagebuch mit dessen gewissenhaften Aufzeichnungen.
**Das Sonnwendfeuer oder auch Johannisfeuer wurde in den alten österreichischen Ländern jedes Jahr am 21. Juni, am Johannistag entzündet.
Soweit ich mich erinnere, wurde der Singkreis Pentenried von meinem Onkel Walter Löschner, von Friedrich Heckl sen. und von Karl Elsner gegründet. Es könnten aber noch mehr Gründer gewesen sein.
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