Einmal Freising – und zurück
Freising – Dom Foto Wikipedia
In Dr. Stengels Praxis kannte man keinen Praxisurlaub. Und wenn die Eheleute doch einmal für ein paar Tage zum Wandern in die Berge fuhren, kam immer ein Kollege, der die Sprechstunden übernahm.
Dieser Kollege, Dr. Leonhard Späth, war ein Mensch mit einem oft sehr deftigen Humor und einer gediegenen humanistischen Bildung.
Mit ihm arbeitete ich schon in der Uhlandstraße gelegentlich zusammen. Und er war es auch, der mir später zu einer Bewerbung für das Labor des Freisinger Medizinischen Krankenhauses riet, wo er inzwischen Oberarzt geworden war.
Freising – die Stadt
Die Stadt Freising, mit etwa 50 000 Einwohnern, ist eine große Kreisstadt und zugleich eine Universitätsstadt, nahe bei München. Sie liegt an den Flüssen Isar und Moosach.
Gegründet wurde Freising im Jahre 739 durch den Bischof Bonifatius als ein Herzogssitz im ersten bayerischen Stammesherzogtum. Um 1200 kamen auch Benediktinermönche nach Freising. Der Dom löste die erste Marienkirche ab. Ein Dom, der im Laufe der Geschichte alle Baustile, von der Gotik bis zur Renaissance aufnahm. Geweiht ist dieser Dom dem Heiligen Korbinian, dessen Reliquien er bewahrt. Darum darf er sich auch Wallfahrtskirche nennen.
Ein Zitat aus der Süddeutschen Zeitung vom 30. August 2017
Wer den Schlüssel zum Verständnis der Stadtlandschaft von Freising sucht, muss auch die Topografie der Stadt und das historische Gewässernetz ihrer Moosach-Arme…..erkunden. Denn Freising erstreckt sich über mehrere besondere Anhöhen und Niederungen, die viel aus der Stadtgeschichte und auch viel über die Denkmaltopografie verraten. Weihenstephaner Berg, Domberg und Tuchinger Berg markieren den Verlauf der Geländekante des tertiären Hügellandes mitten durch das Stadtgebiet.
Auch bekannt als „Lehrberg“, „Nährberg“ und „Wehrberg“, waren und sind sie macht- und prachtvolle Inszenierungen der Baukultur. (Zit. Ende)
Damals aber waren mir diese geschichtlichen, kunstgeschichtlichen oder topografischen Hintergründe noch nicht bekannt! Ich wollte einfach nur in einem angenehmen Umfeld in einem medizinischen Labor arbeiten und dabei etwas Geld verdienen. Im Hintergrund plante ich jedoch, in Weihenstephan Landwirtschaft zu studieren, um später in der Entwicklungshilfe zu arbeiten.
Dazu hatte ich mich bereits bei einem anerkannten Freisinger Lehrhof in der Nähe angemeldet, um das hierfür nötige Praktikum zu machen. Allerdings gab es schon, da der Hof recht günstig zu Weihenstephan lag, eine lange Warteliste von Bewerbern. So dass ich in aller Ruhe erst einmal meine Stelle im Städtischen Krankenhaus antreten konnte.
Freising – das Krankenhaus und mein kleines Zimmer
Das Krankenhaus selbst, das von Klosterschwestern* bewirtschaftet wurde, stammte wohl noch aus der Gründerzeit. Sein parkähnliches Gelände war von einem der zahlreichen Moosach-Arme seitlich durchflossen.
Auch meine Wohnung, lag an diesem Gewässer und zwar genau an einer steinernen Moosachbrücke. Nachts hörte ich im Halbschlaf noch das Rauschen des angestauten Flusses. Denn mein Zimmer, im Obergeschoß eines älteren Bürgerhauses, lag schon halb über der Brücke. Der schmale Raum, mit seinen dicken Mauern war nur so breit, dass mein Bett die ganze hintere Querseite einnahm. Am Fenster stand ein gezimmerter Tisch. Und auf dem Fensterbrett hatte ich mein kleines Radio und einiges Geschirr aufgebaut, daneben noch einen runden Elektrokocher. Ein Spind und eine Waschecke befanden sich auf der gegenüberliegenden Seite, zur Tür hin. Die gemeinsame Toilette und das Bad lagen eine Treppe tiefer.
Meine freundlichen Wirtsleute waren, wie fast alle Leute in Freising gutmütig, nett, still und bescheiden. Ich glaube überhaupt, dass in Freising die nettesten Menschen lebten!
Abends, wenn ich allein in der winzigen Wohnung saß, hörte ich schon bald die etwas krächzende Stimme meiner Wirtin rufen. „Freiln Lochna, kemmas abi?! Drah man Fernsäer an?“ Unten bekam ich dann sogleich alle möglichen feinen frischen Hefegebäcke gereicht und etwas zu trinken und durfte mich zu den beiden älteren Kindern mit auf die Coach setzen.
Man konnte kein Heimweh bekommen, in dieser liebenswerten Umgebung! Wozu vor allem auch die neuen Kolleginnen sowie die Ärzte beitrugen. Aber davon werde ich später berichten.
Freising – das Labor
Wenn man von der kleinen Brücke aus, etwa hundert Meter weiter durch den grünen Park ging, gelangte man zum Haupteingang des alten medizinischen Krankenhauses. Rechts zweigten gleich die Räume zur Patienten-Aufnahme und zu den Büros der Sekretärinnen ab.
Auf der linken Seite führte eine stets offene Tür in das Labor. Dieses war ein großer heller Raum, mit einem u-förmigen Labortisch. Darauf standen mehrere Mikroskope sowie die damals notwendigen verschiedenen Geräte für die Sputum- Blut- und Urinuntersuchungen, für die Leberfunktionsproben und für die Magen-Ausheberungen. An das Labor schloss sich noch ein kleinerer Ekg Raum an. Etwas weiter hinten befand sich die Röntgenabteilung, in der wir ebenfalls tätig waren.
Erst hinter diesen vielen Funktionsräumen, begann dann das eigentliche Krankenhaus mit den meist voll belegten Einbett- und Mehrbett-Zimmern und den klösterlichen Anlagen mit Refektorium und Küche.
Aus dieser klösterlichen Küche wurde auch das Patientenessen auf metallenen Servierwagen in die Zimmer gefahren. Alles roch dann irgendwie nach Kohl, nach Brötchen, nach Hefegebäck und nach Malzkaffee.
Allerdings kann ich mich nicht mehr erinnern, was es meist mittags zu essen gab. Nur, dass uns eine ältere Nonne immer heimlich, damit es niemand sehen sollte, eine abgedeckte Platte mit appetitlich zusammengestellten Häppchen ins Labor brachte. Ein willkommenes Frühstück für uns junges Volk, die wir doch damals noch sehr schmal bei Kasse waren!
Freising – das lustige Leben
Nicht nur im Krankenhaus, sondern vor allem in unserem Labor und in den Büros, herrschte meistens eine aufgekratzt fröhliche Stimmung. Wir waren ja alle noch sehr jung damals, voller Zukunftsträume mit unseren 22, 23 und 24 Jahren. Nur unsere Leiterin hatte bereits das Alter von 28 Jahren erreicht. Sie hütete uns junge Kolleginnen, wie eine ältere Schwester, die auf die kleinen Mädchen gut aufpassen muss.
Schon vom ersten Tag an, gehörte ich nun mit zu ihrer munteren Gruppe.
Abends gingen wir nach den langen Arbeitsstunden, oft noch gemeinsam in eine Eisdiele oder gar in das Café Fraunhofer, kurz KV genannt. Wo wir uns bei kleinen Imbissen, noch gerne mit den Studenten unterhielten, die sich auch regelmäßig dort einfanden.
Studenten gab es damals überall zu treffen. Die jungen Leute studierten an der Weihenstephaner TU entweder Landwirtschaft oder Gartenbau oder auch die Braukunst, an der berühmten Weihenstephaner Brauereihochschule.
Einige gehörten den verschiedenen Studentenverbindungen an. Dann gab es dort auch noch Soldaten in der Stadt, sie kamen meist vom „Wehrberg“ , wo die großen Kasernen standen.
Es war jedenfalls immer ein lustiges Treffen, bei dem auch genügend Bier zum traditionellen „Obatzten“ getrunken wurde, das irgendwer am späten Abend noch für alle bezahlte.
In den Gaststuben, wo die Studenten ihre Kneipenabende feierten, gab es zusätzlich noch das „Stiefeltrinken“. Wobei ein gläsernes Trinkgefäß in Stiefelform mit Weizenbier gefüllt wurde und jeder reihum trinken musste, ohne zu gluckern.
Unsere Chefin lockte uns aber auch zu manchen Veranstaltungen der Jungen Union. Vor allem wohl, weil ihre Mutter, eine ehemalige Klassenkameradin von F. J. Strauß, als CSU Abgeordnete im Bayerischen Landtag saß. So sollten auch wir uns bei der Jungen Union nicht nur informieren, sondern am Besten gleich Mitglieder werden!
Meinen ersten und einzigen Tanzkurs machte ich jedoch ohne meine drei Freundinnen im Vereinsheim der DJO, der Deutschen Jugend des Ostens. Gerne war ich auch dort zu Gast.
Wenn mich meine neuen Kolleginnen aber einmal nicht abholten und wenn gerade der Oberarzt Späth Bereitschaftsdienst hatte, lud er mich ein, mit ihm klassische Musik von seinen Cassetten zu hören. Dabei erklärte er mir auch die Motive von Anton Bruckner bei seiner 4. und 5. und 6. Sinfonie, die er besonders liebte. Wir saßen dann oft noch mit einer lustigen jungen Nonne bei einem Glas Wein. Die kleine Nonne hieß, soweit ich mich erinnere Schwester Martina.
Nur an den Wochenenden gab es, zum Kummer meiner Freisinger Freunde, kein Programm für mich – und mit mir, weil ich dann regelmäßig nach Hause fuhr.
Ständige Mandelentzündungen – und ein toter Mann in der Moosach
Ob es an dem feuchten Klima der Stadt oder am fröhlichen „Stiefel-Trinken“ lag, jedenfalls litt ich in diesen Monaten ständig an fieberhaften Anginen, so dass mir der Hausarzt empfahl, die Mandeln heraus nehmen zu lassen. Auch meine Eltern, die mich an den Wochenenden immer umsorgten, redeten mir zu.
Und dann passierte es, dass ich an einem frühen Nachmittag, als ich gerade nach der Mittagspause ins Labor gehen wollte, ein Bündel karierter Kleidung in der stillen Moosach schwimmen sah. „Wer wirft denn hier seine Kleider ins Wasser?“ dachte ich noch und sah im selben Augenblick, dass da auch ein Mensch noch daran hing.
Mit Hilfe eines Passanten, zog ich den leblosen, schweren Körper aus dem flachen Wasser heraus. Am Ufer legte ich den triefenden Mann auf den Bauch, ließ seitlich das Wasser aus seinem Mund herauslaufen und begann mit Wiederbelebungsübungen, wie ich sie beim Roten Kreuz gelernt hatte.
Inzwischen standen immer mehr aufgeregte Leute an der Brücke. Ich rief hinauf, dass man schnell einen Arzt aus dem Krankenhaus holen solle!
Eine junge Assistentin kam gelaufen und gab dem leblosen Mann eine Spritze.
Allerdings konnte sie den Patienten auch nicht mehr retten. Bis heute weiß ich nicht, ob der arme Mann durch einen Unfall oder durch Selbstmord sein Leben verloren hatte…
Doch irgendwie kam mir die steinerne Brücke mit dem rauschenen Wasser auf einmal nicht mehr so romantisch vor.
So fiel es mir nicht ganz so schwer, mich ins Starnberger Krankenhaus zu begeben, um mir erst einmal die Mandeln herausnehmen zu lassen.
Und, um von dem bunten Freisinger Treiben ein wenig Abstand zu gewinnen und mich auf mein weiteres Leben zu besinnen.
J. A.
* Die Nonnen waren, soweit ich mich erinnere Benediktinerinnen
Die Kolleginnen und Freunde in Freising hießen Gabriele Amann, Anneliese Ziegelbauer, Angelika Tamms, Bernd Schneider, Günter Baumgarnter, Dr. Späth, Dr. Erzschei, Schwester Martina und viele andere….
Der weitere Lebensweg begann dann im Zentralkrankenhaus Gauting…
Das Foto zeigt mich auf dem langen Weg zu den hinteren Gebäuden des Zentralkrankenhauses (ehemals Sanatorium Gauting).
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Freising – Dom Foto Wikipedia
In Dr. Stengels Praxis kannte man keinen Praxisurlaub. Und wenn die Eheleute doch einmal für ein paar Tage zum Wandern in die Berge fuhren, kam immer ein Kollege, der die Sprechstunden übernahm.
Dieser Kollege, Dr. Leonhard Späth, war ein Mensch mit einem oft sehr deftigen Humor und einer gediegenen humanistischen Bildung.
Mit ihm arbeitete ich schon in der Uhlandstraße gelegentlich zusammen. Und er war es auch, der mir später zu einer Bewerbung für das Labor des Freisinger Medizinischen Krankenhauses riet, wo er inzwischen Oberarzt geworden war.
Freising – die Stadt
Die Stadt Freising, mit etwa 50 000 Einwohnern, ist eine große Kreisstadt und zugleich eine Universitätsstadt, nahe bei München. Sie liegt an den Flüssen Isar und Moosach.
Gegründet wurde Freising im Jahre 739 durch den Bischof Bonifatius als ein Herzogssitz im ersten bayerischen Stammesherzogtum. Um 1200 kamen auch Benediktinermönche nach Freising. Der Dom löste die erste Marienkirche ab. Ein Dom, der im Laufe der Geschichte alle Baustile, von der Gotik bis zur Renaissance aufnahm. Geweiht ist dieser Dom dem Heiligen Korbinian, dessen Reliquien er bewahrt. Darum darf er sich auch Wallfahrtskirche nennen.
Ein Zitat aus der Süddeutschen Zeitung vom 30. August 2017
Wer den Schlüssel zum Verständnis der Stadtlandschaft von Freising sucht, muss auch die Topografie der Stadt und das historische Gewässernetz ihrer Moosach-Arme…..erkunden. Denn Freising erstreckt sich über mehrere besondere Anhöhen und Niederungen, die viel aus der Stadtgeschichte und auch viel über die Denkmaltopografie verraten. Weihenstephaner Berg, Domberg und Tuchinger Berg markieren den Verlauf der Geländekante des tertiären Hügellandes mitten durch das Stadtgebiet.
Auch bekannt als „Lehrberg“, „Nährberg“ und „Wehrberg“, waren und sind sie macht- und prachtvolle Inszenierungen der Baukultur. (Zit. Ende)
Damals aber waren mir diese geschichtlichen, kunstgeschichtlichen oder topografischen Hintergründe noch nicht bekannt! Ich wollte einfach nur in einem angenehmen Umfeld in einem medizinischen Labor arbeiten und dabei etwas Geld verdienen. Im Hintergrund plante ich jedoch, in Weihenstephan Landwirtschaft zu studieren, um später in der Entwicklungshilfe zu arbeiten.
Dazu hatte ich mich bereits bei einem anerkannten Freisinger Lehrhof in der Nähe angemeldet, um das hierfür nötige Praktikum zu machen. Allerdings gab es schon, da der Hof recht günstig zu Weihenstephan lag, eine lange Warteliste von Bewerbern. So dass ich in aller Ruhe erst einmal meine Stelle im Städtischen Krankenhaus antreten konnte.
Freising – das Krankenhaus und mein kleines Zimmer
Das Krankenhaus selbst, das von Klosterschwestern* bewirtschaftet wurde, stammte wohl noch aus der Gründerzeit. Sein parkähnliches Gelände war von einem der zahlreichen Moosach-Arme seitlich durchflossen.
Auch meine Wohnung, lag an diesem Gewässer und zwar genau an einer steinernen Moosachbrücke. Nachts hörte ich im Halbschlaf noch das Rauschen des angestauten Flusses. Denn mein Zimmer, im Obergeschoß eines älteren Bürgerhauses, lag schon halb über der Brücke. Der schmale Raum, mit seinen dicken Mauern war nur so breit, dass mein Bett die ganze hintere Querseite einnahm. Am Fenster stand ein gezimmerter Tisch. Und auf dem Fensterbrett hatte ich mein kleines Radio und einiges Geschirr aufgebaut, daneben noch einen runden Elektrokocher. Ein Spind und eine Waschecke befanden sich auf der gegenüberliegenden Seite, zur Tür hin. Die gemeinsame Toilette und das Bad lagen eine Treppe tiefer.
Meine freundlichen Wirtsleute waren, wie fast alle Leute in Freising gutmütig, nett, still und bescheiden. Ich glaube überhaupt, dass in Freising die nettesten Menschen lebten!
Abends, wenn ich allein in der winzigen Wohnung saß, hörte ich schon bald die etwas krächzende Stimme meiner Wirtin rufen. „Freiln Lochna, kemmas abi?! Drah man Fernsäer an?“ Unten bekam ich dann sogleich alle möglichen feinen frischen Hefegebäcke gereicht und etwas zu trinken und durfte mich zu den beiden älteren Kindern mit auf die Coach setzen.
Man konnte kein Heimweh bekommen, in dieser liebenswerten Umgebung! Wozu vor allem auch die neuen Kolleginnen sowie die Ärzte beitrugen. Aber davon werde ich später berichten.
Freising – das Labor
Wenn man von der kleinen Brücke aus, etwa hundert Meter weiter durch den grünen Park ging, gelangte man zum Haupteingang des alten medizinischen Krankenhauses. Rechts zweigten gleich die Räume zur Patienten-Aufnahme und zu den Büros der Sekretärinnen ab.
Auf der linken Seite führte eine stets offene Tür in das Labor. Dieses war ein großer heller Raum, mit einem u-förmigen Labortisch. Darauf standen mehrere Mikroskope sowie die damals notwendigen verschiedenen Geräte für die Sputum- Blut- und Urinuntersuchungen, für die Leberfunktionsproben und für die Magen-Ausheberungen. An das Labor schloss sich noch ein kleinerer Ekg Raum an. Etwas weiter hinten befand sich die Röntgenabteilung, in der wir ebenfalls tätig waren.
Erst hinter diesen vielen Funktionsräumen, begann dann das eigentliche Krankenhaus mit den meist voll belegten Einbett- und Mehrbett-Zimmern und den klösterlichen Anlagen mit Refektorium und Küche.
Aus dieser klösterlichen Küche wurde auch das Patientenessen auf metallenen Servierwagen in die Zimmer gefahren. Alles roch dann irgendwie nach Kohl, nach Brötchen, nach Hefegebäck und nach Malzkaffee.
Allerdings kann ich mich nicht mehr erinnern, was es meist mittags zu essen gab. Nur, dass uns eine ältere Nonne immer heimlich, damit es niemand sehen sollte, eine abgedeckte Platte mit appetitlich zusammengestellten Häppchen ins Labor brachte. Ein willkommenes Frühstück für uns junges Volk, die wir doch damals noch sehr schmal bei Kasse waren!
Freising – das lustige Leben
Nicht nur im Krankenhaus, sondern vor allem in unserem Labor und in den Büros, herrschte meistens eine aufgekratzt fröhliche Stimmung. Wir waren ja alle noch sehr jung damals, voller Zukunftsträume mit unseren 22, 23 und 24 Jahren. Nur unsere Leiterin hatte bereits das Alter von 28 Jahren erreicht. Sie hütete uns junge Kolleginnen, wie eine ältere Schwester, die auf die kleinen Mädchen gut aufpassen muss.
Schon vom ersten Tag an, gehörte ich nun mit zu ihrer munteren Gruppe.
Abends gingen wir nach den langen Arbeitsstunden, oft noch gemeinsam in eine Eisdiele oder gar in das Café Fraunhofer, kurz KV genannt. Wo wir uns bei kleinen Imbissen, noch gerne mit den Studenten unterhielten, die sich auch regelmäßig dort einfanden.
Studenten gab es damals überall zu treffen. Die jungen Leute studierten an der Weihenstephaner TU entweder Landwirtschaft oder Gartenbau oder auch die Braukunst, an der berühmten Weihenstephaner Brauereihochschule.
Einige gehörten den verschiedenen Studentenverbindungen an. Dann gab es dort auch noch Soldaten in der Stadt, sie kamen meist vom „Wehrberg“ , wo die großen Kasernen standen.
Es war jedenfalls immer ein lustiges Treffen, bei dem auch genügend Bier zum traditionellen „Obatzten“ getrunken wurde, das irgendwer am späten Abend noch für alle bezahlte.
In den Gaststuben, wo die Studenten ihre Kneipenabende feierten, gab es zusätzlich noch das „Stiefeltrinken“. Wobei ein gläsernes Trinkgefäß in Stiefelform mit Weizenbier gefüllt wurde und jeder reihum trinken musste, ohne zu gluckern.
Unsere Chefin lockte uns aber auch zu manchen Veranstaltungen der Jungen Union. Vor allem wohl, weil ihre Mutter, eine ehemalige Klassenkameradin von F. J. Strauß, als CSU Abgeordnete im Bayerischen Landtag saß. So sollten auch wir uns bei der Jungen Union nicht nur informieren, sondern am Besten gleich Mitglieder werden!
Meinen ersten und einzigen Tanzkurs machte ich jedoch ohne meine drei Freundinnen im Vereinsheim der DJO, der Deutschen Jugend des Ostens. Gerne war ich auch dort zu Gast.
Wenn mich meine neuen Kolleginnen aber einmal nicht abholten und wenn gerade der Oberarzt Späth Bereitschaftsdienst hatte, lud er mich ein, mit ihm klassische Musik von seinen Cassetten zu hören. Dabei erklärte er mir auch die Motive von Anton Bruckner bei seiner 4. und 5. und 6. Sinfonie, die er besonders liebte. Wir saßen dann oft noch mit einer lustigen jungen Nonne bei einem Glas Wein. Die kleine Nonne hieß, soweit ich mich erinnere Schwester Martina.
Nur an den Wochenenden gab es, zum Kummer meiner Freisinger Freunde, kein Programm für mich – und mit mir, weil ich dann regelmäßig nach Hause fuhr.
Ständige Mandelentzündungen – und ein toter Mann in der Moosach
Ob es an dem feuchten Klima der Stadt oder am fröhlichen „Stiefel-Trinken“ lag, jedenfalls litt ich in diesen Monaten ständig an fieberhaften Anginen, so dass mir der Hausarzt empfahl, die Mandeln heraus nehmen zu lassen. Auch meine Eltern, die mich an den Wochenenden immer umsorgten, redeten mir zu.
Und dann passierte es, dass ich an einem frühen Nachmittag, als ich gerade nach der Mittagspause ins Labor gehen wollte, ein Bündel karierter Kleidung in der stillen Moosach schwimmen sah. „Wer wirft denn hier seine Kleider ins Wasser?“ dachte ich noch und sah im selben Augenblick, dass da auch ein Mensch noch daran hing.
Mit Hilfe eines Passanten, zog ich den leblosen, schweren Körper aus dem flachen Wasser heraus. Am Ufer legte ich den triefenden Mann auf den Bauch, ließ seitlich das Wasser aus seinem Mund herauslaufen und begann mit Wiederbelebungsübungen, wie ich sie beim Roten Kreuz gelernt hatte.
Inzwischen standen immer mehr aufgeregte Leute an der Brücke. Ich rief hinauf, dass man schnell einen Arzt aus dem Krankenhaus holen solle!
Eine junge Assistentin kam gelaufen und gab dem leblosen Mann eine Spritze.
Allerdings konnte sie den Patienten auch nicht mehr retten. Bis heute weiß ich nicht, ob der arme Mann durch einen Unfall oder durch Selbstmord sein Leben verloren hatte…
Doch irgendwie kam mir die steinerne Brücke mit dem rauschenen Wasser auf einmal nicht mehr so romantisch vor.
So fiel es mir nicht ganz so schwer, mich ins Starnberger Krankenhaus zu begeben, um mir erst einmal die Mandeln herausnehmen zu lassen.
Und, um von dem bunten Freisinger Treiben ein wenig Abstand zu gewinnen und mich auf mein weiteres Leben zu besinnen.
J. A.
* Die Nonnen waren, soweit ich mich erinnere Benediktinerinnen
Die Kolleginnen und Freunde in Freising hießen Gabriele Amann, Anneliese Ziegelbauer, Angelika Tamms, Bernd Schneider, Günter Baumgarnter, Dr. Späth, Dr. Erzschei, Schwester Martina und viele andere….
Der weitere Lebensweg begann dann im Zentralkrankenhaus Gauting…
Das Foto zeigt mich auf dem langen Weg zu den hinteren Gebäuden des Zentralkrankenhauses (ehemals Sanatorium Gauting).
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