Ankunft in Pentenried.
Es muss schon im Frühjahr 1949 gewesen sein, als uns der Vati mit einem kleinen Leiterwagen vom Gautinger Bahnhof abholte.
Auf dem Wagen lagen ein alter Koffer, ein Topf, den uns die Oma geschenkt hatte und ein paar selbst genähte Stoffbeutel mit Kleidern und Spielsachen.
Ab und zu durften mein Bruder und ich den holpernden Karren ziehen. Der Weg führte im letzten Stück durch einen hohen Nadelwald und eine kleine Fichten – Schonung und schließlich durch eine Waldwiese mit einzelnen jungen Birken und Buchen und dichten Himbeersträuchern. Auch lagen an manchen Stellen noch Baumstämme über einander geschichtet, die zum Bauen benutzt werden sollten. Es roch nach Harz und Kräutern und nach feuchter Walderde.
Uns Kindern erschien der Weg endlos lang zu sein, während wir den hölzernen Wagen über die ungepflasterten Wege und über Wurzeln und Steine zogen. Denn unsere Gedanken waren noch in Winden geblieben. Wir sehnten uns nach unseren herrlichen Spielorten, nach den alten Wäldern und den Hopfenfeldern. Auch nach den schilfumwachsenen Tümpeln, mit Fröschen und Libellen und den moorigen Wasser-Gräben in dem Tal. Vor allem aber vermissten wir unsere Windener Großmutter und ihren übermütigen schwarzen Hund, den Max.
Unsere Eltern dagegen, konnten sich so viel erzählen, dass ihnen die Entfernung von Gauting zur Siedlung sicher kurz vorkam. Seit Wochen hatten sie sich nicht mehr gesehen.
In diesen Wochen hatte unser Vater einigen Siedlern beim Hausbau geholfen. Aber da die Eigentümer kein bares Geld entbehren konnten, bezahlten sie ihn in Naturalien.
Zuletzt war der Lohn für meinen Vater das kostenlose Wohnrecht für 2 Jahre in dem Obergeschoß eines der neu gebauten Siedlungshäuschen gewesen. Das Haus selbst gehörte einer Familie aus Saaz.
Die Pläne für neue Siedlungshäuser zeichnete Vatis Bruder. Auch die Straßen fügte er in seine Entwürfe ein und sogar eine Kirche, eine Schule, einen Sportplatz und ein kleines Industriegebiet… Nicht alles, was auf dem Reißbrett entstanden war, konnte später verwirklicht werden. Aber die Wohnhäuser, die Kirche, den Sportplatz und die Straßennamen gibt es noch heute.
Da Onkel Walter aus englischer Kriegsgefangenschaft kam, durfte er nach dem Krieg im Westen bleiben und konnte seine Mutter und seine Familie nachkommen lassen. Leider galt diese Familienzusammenführung nicht für die Geschwister. Darum lebten wir auch in Pentenried noch ohne Anmeldung und mussten jederzeit befürchten, wieder abgeschoben zu werden.
Außerdem hatten wir keinen Versicherungsschutz, was sich schmerzlich bemerkbar machte, als unser Vater sich bei der schweren Arbeit im Rücken verhoben und sich durch die aufzischenden Kalkspritzer immer mehr offene Brandwunden an den Händen zugezogen hatte. Der Arzt, der ihn freundlicheweise behandelte, verbot ihm diese schwere Arbeit weiter zu machen.
In dieser Notsituation, wären meine Eltern sogar bereit gewesen, wieder in die DDR* zurück zu kehren, trotz aller Strafen und Schikanen, die sie dort erwarten würden!
Doch endlich kam die ersehnte Zuzugserlaubnis! Und zugleich erhielt mein Vater eine Stelle als Leiter einer Baukolonne in einem Auswanderungslager in München Freimann**. Wo ehemalige russische und ukrainische Zwangsarbeiter für ihre Rückkehr in die Heimat vorbereitet wurden.
Meine Eltern waren einfach glücklich! Auch, wenn das Schicksal dieser Männer meinen Vater oft bedrückte. Meistens konnte er sich über seine slawischen Sprachkenntnisse mit ihnen in ihrer Muttersprache unterhalten. Darum liebten sie ihn – und auch uns, wenn wir ihn manchmal in diesem Lager besuchen kamen. Schnell brachten sie dann ihre selbst hergestellten Geschenke, wie eine hölzerne Wand-Uhr oder ein Messer aus einem Stück Stahl. Oder sie schnitzten kleine hölzerne Spielsachen, eine Kutsche mit Pferd oder kleine Bauernfiguren für meinen Bruder und mich. Und unsere Mutter bekam sogar einen wunderbaren eisernen Bratentopf, der aus einem ehemaligen Soldaten-Helm gehämmert war.
Russische Pferdchenkutsche für uns KInder
* Offiziell wurde die DDR erst am 7. Oktober 1949 gegründet
** Es nannte sich IRO
J. A.
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Ankunft in Pentenried.
Es muss schon im Frühjahr 1949 gewesen sein, als uns der Vati mit einem kleinen Leiterwagen vom Gautinger Bahnhof abholte.
Auf dem Wagen lagen ein alter Koffer, ein Topf, den uns die Oma geschenkt hatte und ein paar selbst genähte Stoffbeutel mit Kleidern und Spielsachen.
Ab und zu durften mein Bruder und ich den holpernden Karren ziehen. Der Weg führte im letzten Stück durch einen hohen Nadelwald und eine kleine Fichten – Schonung und schließlich durch eine Waldwiese mit einzelnen jungen Birken und Buchen und dichten Himbeersträuchern. Auch lagen an manchen Stellen noch Baumstämme über einander geschichtet, die zum Bauen benutzt werden sollten. Es roch nach Harz und Kräutern und nach feuchter Walderde.
Uns Kindern erschien der Weg endlos lang zu sein, während wir den hölzernen Wagen über die ungepflasterten Wege und über Wurzeln und Steine zogen. Denn unsere Gedanken waren noch in Winden geblieben. Wir sehnten uns nach unseren herrlichen Spielorten, nach den alten Wäldern und den Hopfenfeldern. Auch nach den schilfumwachsenen Tümpeln, mit Fröschen und Libellen und den moorigen Wasser-Gräben in dem Tal. Vor allem aber vermissten wir unsere Windener Großmutter und ihren übermütigen schwarzen Hund, den Max.
Unsere Eltern dagegen, konnten sich so viel erzählen, dass ihnen die Entfernung von Gauting zur Siedlung sicher kurz vorkam. Seit Wochen hatten sie sich nicht mehr gesehen.
In diesen Wochen hatte unser Vater einigen Siedlern beim Hausbau geholfen. Aber da die Eigentümer kein bares Geld entbehren konnten, bezahlten sie ihn in Naturalien.
Zuletzt war der Lohn für meinen Vater das kostenlose Wohnrecht für 2 Jahre in dem Obergeschoß eines der neu gebauten Siedlungshäuschen gewesen. Das Haus selbst gehörte einer Familie aus Saaz.
Die Pläne für neue Siedlungshäuser zeichnete Vatis Bruder. Auch die Straßen fügte er in seine Entwürfe ein und sogar eine Kirche, eine Schule, einen Sportplatz und ein kleines Industriegebiet… Nicht alles, was auf dem Reißbrett entstanden war, konnte später verwirklicht werden. Aber die Wohnhäuser, die Kirche, den Sportplatz und die Straßennamen gibt es noch heute.
Da Onkel Walter aus englischer Kriegsgefangenschaft kam, durfte er nach dem Krieg im Westen bleiben und konnte seine Mutter und seine Familie nachkommen lassen. Leider galt diese Familienzusammenführung nicht für die Geschwister. Darum lebten wir auch in Pentenried noch ohne Anmeldung und mussten jederzeit befürchten, wieder abgeschoben zu werden.
Außerdem hatten wir keinen Versicherungsschutz, was sich schmerzlich bemerkbar machte, als unser Vater sich bei der schweren Arbeit im Rücken verhoben und sich durch die aufzischenden Kalkspritzer immer mehr offene Brandwunden an den Händen zugezogen hatte. Der Arzt, der ihn freundlicheweise behandelte, verbot ihm diese schwere Arbeit weiter zu machen.
In dieser Notsituation, wären meine Eltern sogar bereit gewesen, wieder in die DDR* zurück zu kehren, trotz aller Strafen und Schikanen, die sie dort erwarten würden!
Doch endlich kam die ersehnte Zuzugserlaubnis! Und zugleich erhielt mein Vater eine Stelle als Leiter einer Baukolonne in einem Auswanderungslager in München Freimann**. Wo ehemalige russische und ukrainische Zwangsarbeiter für ihre Rückkehr in die Heimat vorbereitet wurden.
Meine Eltern waren einfach glücklich! Auch, wenn das Schicksal dieser Männer meinen Vater oft bedrückte. Meistens konnte er sich über seine slawischen Sprachkenntnisse mit ihnen in ihrer Muttersprache unterhalten. Darum liebten sie ihn – und auch uns, wenn wir ihn manchmal in diesem Lager besuchen kamen. Schnell brachten sie dann ihre selbst hergestellten Geschenke, wie eine hölzerne Wand-Uhr oder ein Messer aus einem Stück Stahl. Oder sie schnitzten kleine hölzerne Spielsachen, eine Kutsche mit Pferd oder kleine Bauernfiguren für meinen Bruder und mich. Und unsere Mutter bekam sogar einen wunderbaren eisernen Bratentopf, der aus einem ehemaligen Soldaten-Helm gehämmert war.
Russische Pferdchenkutsche für uns KInder
* Offiziell wurde die DDR erst am 7. Oktober 1949 gegründet
** Es nannte sich IRO
J. A.
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