Warum ich zuerst Krankenschwester wurde
Dass die Ehe meiner Eltern, trotz des großen Altersunterschieds von 13 Jahren glücklich war, lag sicher nicht nur an den beiden Ehepartnern, sondern auch an der Vertreibung. So hart das klingen mag.
Mein Vater
Mein Vater, 1902 geboren, kam aus einer reichen Umgebung. Das fruchtbare Saazerland gehörte mit seinen Bewohnern durch Eroberungen oder Schenkungen zwar zu den unterschiedlichsten Herrschaften. Die Landeskinder aber sprachen fränkisch, mit noch eigenen Ausdrücken…
Zum Beispiel war mit „Gorkenlootscher“ der lahme Saazer gemeint. Und mit Husen-Ododerer, ein Hosenknopf. Nebenbei benutzte man auch jiddische Wörter, wie das Wort „Mame“. Und selbst noch meine Cousins riefen, wenn ich beim Schlittenfahren den steilen Abhang gut herunter kam: „Da hast aber a Massl ghabt!“.
Es lebten nämlich auch viele Juden in dieser Saazer Gegend. Wie die Vorfahren der Schauspielerin Barbra Streisand oder wie der Onkel von Franz Kafka.
Die Familie meines Vaters besaß in Flöhau die Mühle, mehrere Hopfenfelder sowie die Ziegelei und Töpferei, zwei Sandgruben und einen Wald. Ihre Söhne mussten ein Studium absolvieren. Während die Mädchen nur eine sogenannte „Kochschule“ in Prag besuchen durften.
Meine Großmutter hat diesen Unterricht allerdings sehr genossen. Sie war eine vorzügliche Köchin. Sie hatte nicht nur die enge Familie zu versorgen, sondern auch alte Verwandte sowie die Haushaltshilfen und die Angestellen des Mannes. Sie musste den Gemüsegarten anlegen lassen und das Obst einwecken. Zu bestimmten Jahreszeiten kochte man auch in großen Kesseln für die tschechischen Hopfen-Saisonarbeiter mit. *
Im Hause war sie „die Bestimmerin“ und niemals mischte sich der Mann in ihre Planungen ein. Es gab eine strenge Arbeitsteilung zwischen den Aufgaben des Mannes und der Frau.
Meine Mutter
Meine Mutter, 1915 geboren, wuchs dagegen in einem Handwerkerhaushalt auf. Ihre Familie lebte in Mähren, in dem schönen Restland, das Friedrich II. nach den Schlesischen Kriegen der Kaiserin Maria Theresia gelassen hatte.
Während mein väterlicher Großvater also eher verwaltete und im Stadtrat saß, die Jagd liebte und als Architekt tätig war.
Stand mein mütterlicher Großvater schon in der zweiten Nachthälfte auf, um den Brotteig zu kneten und den Backofen anzuheizen. Aber auch er gehörte dem Zöptauer Gemeinderat an, so dass er nach den Sitzungen noch weniger Nachtruhe hatte.
Doch die Buchführung, den Einkauf, sowie den Bäckerladen bedienten die Eheleute gemeinsam. Beruflich und privat waren sie gleichberechtigt, der Meister und seine Ehefrau. Selbst bei der Kindererziehung, beim Wickeln der Jüngsten und bei allen Familienunternehmungen beteiligte sich der Vater „gleichberechtigt mit seiner Frau“.
Ganz selbstverständlich schien es darum, dass auch ihre Töchter später einen eigenen Beruf erlernen sollten! Die einzige Mitgift für ihre vier Mädchen war nämlich dieser Beruf.
So unterschiedlich die Lebensmuster der beiden Familien also waren, so spielten diese in unserer Zeit schon fast keine Rolle mehr. Denn der schreckliche Krieg und die Vertreibung setzten auch hier „den Hobel an“! Sie machten alle Vertriebenen, mit einem einzigen Strich gleich: Männer und Frauen, Reiche und Arme… Ein jeder musste wieder ganz neu von vorne anfangen und sich den neuen Anforderungen des Lebens stellen!
Der Hausarzt
Trotzdem waren sich die Eltern lange nicht einig, welchen Beruf ich als Mädchen ergreifen sollte! Immer noch hatte mein Vater Vorbehalte gegen akademische Frauenberufe. Vor allem gegen ein langes und teures Studium, das die Frau abhalten könnte zu heiraten und Kinder zu bekommen!
Während sich meine Mutter anfangs noch gegen diese veralteten Ansichten wehrte, wurde sie nach und nach immer gefügiger. Vor allem als sie entdeckte, dass man sich mit dem Pentenrieder Hausbau bis an die äußersten finanziellen Grenzen gewagt hatte.
Ausschlaggebend war dann noch unser Hausarzt, Dr. Bartels, der meine Eltern mit folgenden Worten überzeugte: „Ihre Tochter ist klug und freundlich. Sie könnte eine gute Krankenschwester abgeben! Krankenschwestern sind in allen Kreisen geachtet und werden jederzeit gebraucht. Vielleicht heiratet sie einmal einen Arzt, dann kann sie ihm in der Praxis helfen, wie meine Frau!“
Ich
Und da ich selber überhaupt noch keine eigene Meinung dazu hatte, wurde ich stracks von meinen Eltern in der „Schwesternschule vom Bayerischen Roten Kreuz“, in München angemeldet.
Dass diese Schule ein Internat war, erfuhr ich erst bei meiner Ankunft. Ich war die Einzige, die am ersten Tag ohne Koffer eintraf!
Doch schon bald erlebte ich in dieser Schwesternschule eine sehr interessante – manchmal auch bedrückende Zeit! Das Erwachsenwerden aus einer behüteten Kindheit begann in diesen Jahren.
J. A.
„Das Hobellied“ aus dem Theater-Märchen „Der Verschwender“ von Ferdinand Raimund (1790 – 1836)
* Interessant liest sich eine Erzählung von Egon Erwin Kisch, dem „rasenden Reporter“ aus Prag, über eine Teilnahme bei der Hopfenernte im Saazerland
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Mein Vater
Mein Vater, 1902 geboren, kam aus einer reichen Umgebung. Das fruchtbare Saazerland gehörte mit seinen Bewohnern durch Eroberungen oder Schenkungen zwar zu den unterschiedlichsten Herrschaften. Die Landeskinder aber sprachen fränkisch, mit noch eigenen Ausdrücken…
Zum Beispiel war mit „Gorkenlootscher“ der lahme Saazer gemeint. Und mit Husen-Ododerer, ein Hosenknopf. Nebenbei benutzte man auch jiddische Wörter, wie das Wort „Mame“. Und selbst noch meine Cousins riefen, wenn ich beim Schlittenfahren den steilen Abhang gut herunter kam: „Da hast aber a Massl ghabt!“.
Es lebten nämlich auch viele Juden in dieser Saazer Gegend. Wie die Vorfahren der Schauspielerin Barbra Streisand oder wie der Onkel von Franz Kafka.
Die Familie meines Vaters besaß in Flöhau die Mühle, mehrere Hopfenfelder sowie die Ziegelei und Töpferei, zwei Sandgruben und einen Wald. Ihre Söhne mussten ein Studium absolvieren. Während die Mädchen nur eine sogenannte „Kochschule“ in Prag besuchen durften.
Meine Großmutter hat diesen Unterricht allerdings sehr genossen. Sie war eine vorzügliche Köchin. Sie hatte nicht nur die enge Familie zu versorgen, sondern auch alte Verwandte sowie die Haushaltshilfen und die Angestellen des Mannes. Sie musste den Gemüsegarten anlegen lassen und das Obst einwecken. Zu bestimmten Jahreszeiten kochte man auch in großen Kesseln für die tschechischen Hopfen-Saisonarbeiter mit. *
Im Hause war sie „die Bestimmerin“ und niemals mischte sich der Mann in ihre Planungen ein. Es gab eine strenge Arbeitsteilung zwischen den Aufgaben des Mannes und der Frau.
Meine Mutter
Meine Mutter, 1915 geboren, wuchs dagegen in einem Handwerkerhaushalt auf. Ihre Familie lebte in Mähren, in dem schönen Restland, das Friedrich II. nach den Schlesischen Kriegen der Kaiserin Maria Theresia gelassen hatte.
Während mein väterlicher Großvater also eher verwaltete und im Stadtrat saß, die Jagd liebte und als Architekt tätig war.
Stand mein mütterlicher Großvater schon in der zweiten Nachthälfte auf, um den Brotteig zu kneten und den Backofen anzuheizen. Aber auch er gehörte dem Zöptauer Gemeinderat an, so dass er nach den Sitzungen noch weniger Nachtruhe hatte.
Doch die Buchführung, den Einkauf, sowie den Bäckerladen bedienten die Eheleute gemeinsam. Beruflich und privat waren sie gleichberechtigt, der Meister und seine Ehefrau. Selbst bei der Kindererziehung, beim Wickeln der Jüngsten und bei allen Familienunternehmungen beteiligte sich der Vater „gleichberechtigt mit seiner Frau“.
Ganz selbstverständlich schien es darum, dass auch ihre Töchter später einen eigenen Beruf erlernen sollten! Die einzige Mitgift für ihre vier Mädchen war nämlich dieser Beruf.
So unterschiedlich die Lebensmuster der beiden Familien also waren, so spielten diese in unserer Zeit schon fast keine Rolle mehr. Denn der schreckliche Krieg und die Vertreibung setzten auch hier „den Hobel an“! Sie machten alle Vertriebenen, mit einem einzigen Strich gleich: Männer und Frauen, Reiche und Arme… Ein jeder musste wieder ganz neu von vorne anfangen und sich den neuen Anforderungen des Lebens stellen!
Der Hausarzt
Trotzdem waren sich die Eltern lange nicht einig, welchen Beruf ich als Mädchen ergreifen sollte! Immer noch hatte mein Vater Vorbehalte gegen akademische Frauenberufe. Vor allem gegen ein langes und teures Studium, das die Frau abhalten könnte zu heiraten und Kinder zu bekommen!
Während sich meine Mutter anfangs noch gegen diese veralteten Ansichten wehrte, wurde sie nach und nach immer gefügiger. Vor allem als sie entdeckte, dass man sich mit dem Pentenrieder Hausbau bis an die äußersten finanziellen Grenzen gewagt hatte.
Ausschlaggebend war dann noch unser Hausarzt, Dr. Bartels, der meine Eltern mit folgenden Worten überzeugte: „Ihre Tochter ist klug und freundlich. Sie könnte eine gute Krankenschwester abgeben! Krankenschwestern sind in allen Kreisen geachtet und werden jederzeit gebraucht. Vielleicht heiratet sie einmal einen Arzt, dann kann sie ihm in der Praxis helfen, wie meine Frau!“
Ich
Und da ich selber überhaupt noch keine eigene Meinung dazu hatte, wurde ich stracks von meinen Eltern in der „Schwesternschule vom Bayerischen Roten Kreuz“, in München angemeldet.
Dass diese Schule ein Internat war, erfuhr ich erst bei meiner Ankunft. Ich war die Einzige, die am ersten Tag ohne Koffer eintraf!
Doch schon bald erlebte ich in dieser Schwesternschule eine sehr interessante – manchmal auch bedrückende Zeit! Das Erwachsenwerden aus einer behüteten Kindheit begann in diesen Jahren.
J. A.
„Das Hobellied“ aus dem Theater-Märchen „Der Verschwender“ von Ferdinand Raimund (1790 – 1836)
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