Der Ammersee
Den Ammersee darf man sicher als einen der reizvollsten Seen im ganzen oberbayerischen Fünfseengebiet bezeichnen. Ein Schönwettersee, ein nahes Urlaubs- und Ferienziel, ein familienfreundlicher Aufenthaltsort – gut zum Wandern und nicht zu überlaufen, wie der Starnberger See. Vor allem kann man in dem klaren Wasser herrlich schwimmen oder am Ufer lungern – oder auch Wassersport betreiben.
Dass dieser freundliche Geselle auch gefährlich werden könnte, hätten wir damals nicht gedacht!
Eva
Eva war etwas jünger als ich. Ein rötlich-blonder Teenager, mit auffallend runden blauen Augen in dem sommersprossigen Kindergesicht. Ein Wenig zu kompakt um die Hüften herum, wie die anderen Mädchen meinten. Manchmal döste Eva im Unterricht. Sie kam jeden Morgen mit dem frühen Zug aus Weilheim. Ihr Vater war dort Studiendirektor am Gymnasium. Die Mutter hatte den Beruf aufgegeben, um sich der Familie zu widmen. Evas großer Bruder war ein sogenannter Hochbegabter. Er hatte im Gymnsium eine Klasse übersprungen und dennoch mit 17 Jahren das beste Abitur geschafft. Davon sprach der ganze Ort. Dass dieser intelligente Junge nicht alt werden würde, konnte keiner ahnen…
Eva dagegen, war eine durchschnittliche Schülerin. In meinem Buch „Die Engelschwester“ wird erzählt, was ein Leben neben einem hochbegabten Geschwisterkind bedeuten kann.
Aber noch waren wir nicht so weit! Noch hockten wir Mädchen in dem großen Hörsaal meist neben einander, halfen uns manchmal, lachten, flüsterten, erzählten uns von unseren harmlosen Jungen-Flirts, von unseren Schwärmen, wie wir sie nannten. Und planten, was wir am Sonntag gemeinsam unternehmen könnten.
Im Winter verabredeten wir uns in Garmisch-Partenkirchen, wo mir Eva die Grundlagen des Skifahrens beibrachte. Im Sommer wanderten wir mit Bestimmungsbuch und Pflanzenpressee durch das Murnauer Moor.
Am Ammersee
Manchmal trafen wir uns auch am Ammersee, wo Evas Eltern ein kleines Häuschen geerbt hatten. Und wo Eva auch ein winziges Segelboot besaß.
Heute kann ich nicht mehr sagen, ob es ein richtiges Segelboot war. Mir kam es eher wie eine kleine Wanne vor, ein Schafferl, wie es meine Oma genannt hätte. Ein hölzernes Schafferl mit einem Segel und zwei Ruderstangen.
Der Ammersee war damals noch ein See mit einer langen freien Uferzone. Mit hölzernen Boot-Stegen, auf denen man in der Sonne liegen oder auch nur auf den warmen Brettern sitzen und die Beine ins Wasser hängen konnte. Manchmal sah man ein größeres Ausflugsschiff in der Ferne vorüber fahren. Sonst waren da nur kleinere Boote. Es lag eine sanfte Ruhe über dem Wasser. Und unter dem Steg zuckten die winzigen Fischlein im Wasser, die manchmal an den nackten Zehen knabberten…
Alle diese hellen Sonntage kamen mir damals wie ein kleiner Urlaub vor. Einen richtigen Urlaub konnte ich mir noch nicht leisten. Ich musste in den Ferien arbeiten, um mir das Geld für meine Ausbildung zu verdienen.
Umso mehr freute ich mich, als Evas Eltern uns einluden, eine ganze Woche in ihrer Wohnung am Ammersee zu verbringen.
Die Wohnung lag über dem hölzernen Bootshaus, direkt am See. Man gelangte durch eine seitliche Treppe hinauf. In dem unteren Schuppen waren das Paddelboot der Eltern, wie auch Evas Boot neben einigen Garten-Geräten untergebracht. Ich weiß heute nicht mehr, wie die einzelnen Wohnräume aussahen, wo man kochen, sitzen und schlafen konnte. Das habe ich alles vergessen. Aber wir verbrachten sowieso die meiste Zeit am See oder fuhren mit dem Boot auf dem Wasser. Abends tranken wir Kräuter-Tee oder Wein und hörten uns Evas Lieblingsschallplatte von Ester und Abi Ofarim an. Schnell kam so der letzte Ferientag heran.
Eine Mondscheinfahrt
„Wir könnten zum Abschied eine kleine Mondscheinfahrt unternehmen!“ schlug Eva vor. „Wir nehmen den restlichen Wein und zwei Gläser mit und hängen eine bunte Laterne ans Boot. Das sieht bestimmt am Ufer schön aus. Und dann stoßen wir draußen auf dem Wasser auf uns und auf Utting an!“
Die Sonne ging um diese Sommer-Zeit erst spät unter. Wir mussten lange auf die Dunkelheit warten. Auf dem anderen Boots-Steg hörten wir noch die beiden norwegischen Studenten singen. Der eine spielte Gitarre. „I won’t to go home…“ Die klare Luft brachte uns die Worte herüber.
Endlich konnten wir die Laterne anzünden. Eine Papierlaterne, wie sie die Kinder zum Martinsumzug tragen. Eva befestigte den Stock an einem Haken im Boot.
Wegen der Windstille, mussten wir jetzt rudern. Das Segel hatten wir im Schuppen gelassen. Draußen auf dem See stießen wir dann mit dem letzten Wein an. Eva sang ein Lied von Ester Ofarim: „Mein lieber Hans, noch einen Tanss…“ Sie hatte einen leichten Schwipps und musste dazwischen immer wieder lachen.
Bis auf einmal die Lichter eines großen Ausflugsschiffes zu sehen waren! Wo kam denn dieses Schiff um diese Zeit noch her? Seine Lichter schwammen immer näher. Man hörte jetzt auch Musik aus dem Schiff dringen! „Wir müssen dem Kapitän ein Zeichen geben, damit es uns nicht überfährt!“ Eva hob aufgeregt die Laterne hoch, um sie zu schwenken. „Hallo! Halloo!“ Aber das Schiff war riesengroß und es kam immer näher! Noch heftiger schwenkte Eva ihr buntfarbenes Lichtchen. Immer verzweifelter schrieen wir aus schon heiseren Kehlen! Auf einmal bekam das Papier schwarze Flecken und ehe wir uns besannen, war die bunte Laterne verbrannt! Eva schleuderte den Rest ins Wasser.
„Schnell! Rudern!“ „Schnell hier weg!“ Wir ruderten um unser Leben! Wir wussten, dass wir schleunigst aus der breiten Fahrrinne entkommen mussten!
Unser Boot schwankte jetzt schon mit den Schiffs-Wellen auf und ab. Kaltes Wasser kam herein gespritzt. Unsere Kleidung klebte vor Nässe.
„Weg, nur schnell weg von hier!“
Es war jetzt stockfinster geworden. Kein Mond, keine Sterne am Himmel. Nur die Lichter des Passagierschiffes beleuchteten die krausen Wellen.
Gerettet
Da, endlich waren wir aus der Gefahrenzone entronnen! Das dunkle Ufer konnte man schon erahnen. Der See wurde flacher. Nun stiegen wir aus und zogen das Boot bis zu dem langen Steg hinüber. Unsere Kniee zitterten. Wir weinten und lachten immer zugleich. Sprechen konnten wir nicht! Erschöpft ließen wir uns auf die warmen Bretter des Bootsstegs fallen.
In der Ferne sah man jetzt die hinteren Lichter des Schiffs und einen langen türkis-hellen Streifen im Wasser. Und man hörte noch eine ganze Weile die kurzen Wellen im Takt gegen die hölzernen Pfähle schlagen.
J. A.
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Den Ammersee darf man sicher als einen der reizvollsten Seen im ganzen oberbayerischen Fünfseengebiet bezeichnen. Ein Schönwettersee, ein nahes Urlaubs- und Ferienziel, ein familienfreundlicher Aufenthaltsort – gut zum Wandern und nicht zu überlaufen, wie der Starnberger See. Vor allem kann man in dem klaren Wasser herrlich schwimmen oder am Ufer lungern – oder auch Wassersport betreiben.
Dass dieser freundliche Geselle auch gefährlich werden könnte, hätten wir damals nicht gedacht!
Eva
Eva war etwas jünger als ich. Ein rötlich-blonder Teenager, mit auffallend runden blauen Augen in dem sommersprossigen Kindergesicht. Ein Wenig zu kompakt um die Hüften herum, wie die anderen Mädchen meinten. Manchmal döste Eva im Unterricht. Sie kam jeden Morgen mit dem frühen Zug aus Weilheim. Ihr Vater war dort Studiendirektor am Gymnasium. Die Mutter hatte den Beruf aufgegeben, um sich der Familie zu widmen. Evas großer Bruder war ein sogenannter Hochbegabter. Er hatte im Gymnsium eine Klasse übersprungen und dennoch mit 17 Jahren das beste Abitur geschafft. Davon sprach der ganze Ort. Dass dieser intelligente Junge nicht alt werden würde, konnte keiner ahnen…
Eva dagegen, war eine durchschnittliche Schülerin. In meinem Buch „Die Engelschwester“ wird erzählt, was ein Leben neben einem hochbegabten Geschwisterkind bedeuten kann.
Aber noch waren wir nicht so weit! Noch hockten wir Mädchen in dem großen Hörsaal meist neben einander, halfen uns manchmal, lachten, flüsterten, erzählten uns von unseren harmlosen Jungen-Flirts, von unseren Schwärmen, wie wir sie nannten. Und planten, was wir am Sonntag gemeinsam unternehmen könnten.
Im Winter verabredeten wir uns in Garmisch-Partenkirchen, wo mir Eva die Grundlagen des Skifahrens beibrachte. Im Sommer wanderten wir mit Bestimmungsbuch und Pflanzenpressee durch das Murnauer Moor.
Am Ammersee
Manchmal trafen wir uns auch am Ammersee, wo Evas Eltern ein kleines Häuschen geerbt hatten. Und wo Eva auch ein winziges Segelboot besaß.
Heute kann ich nicht mehr sagen, ob es ein richtiges Segelboot war. Mir kam es eher wie eine kleine Wanne vor, ein Schafferl, wie es meine Oma genannt hätte. Ein hölzernes Schafferl mit einem Segel und zwei Ruderstangen.
Der Ammersee war damals noch ein See mit einer langen freien Uferzone. Mit hölzernen Boot-Stegen, auf denen man in der Sonne liegen oder auch nur auf den warmen Brettern sitzen und die Beine ins Wasser hängen konnte. Manchmal sah man ein größeres Ausflugsschiff in der Ferne vorüber fahren. Sonst waren da nur kleinere Boote. Es lag eine sanfte Ruhe über dem Wasser. Und unter dem Steg zuckten die winzigen Fischlein im Wasser, die manchmal an den nackten Zehen knabberten…
Alle diese hellen Sonntage kamen mir damals wie ein kleiner Urlaub vor. Einen richtigen Urlaub konnte ich mir noch nicht leisten. Ich musste in den Ferien arbeiten, um mir das Geld für meine Ausbildung zu verdienen.
Umso mehr freute ich mich, als Evas Eltern uns einluden, eine ganze Woche in ihrer Wohnung am Ammersee zu verbringen.
Die Wohnung lag über dem hölzernen Bootshaus, direkt am See. Man gelangte durch eine seitliche Treppe hinauf. In dem unteren Schuppen waren das Paddelboot der Eltern, wie auch Evas Boot neben einigen Garten-Geräten untergebracht. Ich weiß heute nicht mehr, wie die einzelnen Wohnräume aussahen, wo man kochen, sitzen und schlafen konnte. Das habe ich alles vergessen. Aber wir verbrachten sowieso die meiste Zeit am See oder fuhren mit dem Boot auf dem Wasser. Abends tranken wir Kräuter-Tee oder Wein und hörten uns Evas Lieblingsschallplatte von Ester und Abi Ofarim an. Schnell kam so der letzte Ferientag heran.
Eine Mondscheinfahrt
„Wir könnten zum Abschied eine kleine Mondscheinfahrt unternehmen!“ schlug Eva vor. „Wir nehmen den restlichen Wein und zwei Gläser mit und hängen eine bunte Laterne ans Boot. Das sieht bestimmt am Ufer schön aus. Und dann stoßen wir draußen auf dem Wasser auf uns und auf Utting an!“
Die Sonne ging um diese Sommer-Zeit erst spät unter. Wir mussten lange auf die Dunkelheit warten. Auf dem anderen Boots-Steg hörten wir noch die beiden norwegischen Studenten singen. Der eine spielte Gitarre. „I won’t to go home…“ Die klare Luft brachte uns die Worte herüber.
Endlich konnten wir die Laterne anzünden. Eine Papierlaterne, wie sie die Kinder zum Martinsumzug tragen. Eva befestigte den Stock an einem Haken im Boot.
Wegen der Windstille, mussten wir jetzt rudern. Das Segel hatten wir im Schuppen gelassen. Draußen auf dem See stießen wir dann mit dem letzten Wein an. Eva sang ein Lied von Ester Ofarim: „Mein lieber Hans, noch einen Tanss…“ Sie hatte einen leichten Schwipps und musste dazwischen immer wieder lachen.
Bis auf einmal die Lichter eines großen Ausflugsschiffes zu sehen waren! Wo kam denn dieses Schiff um diese Zeit noch her? Seine Lichter schwammen immer näher. Man hörte jetzt auch Musik aus dem Schiff dringen! „Wir müssen dem Kapitän ein Zeichen geben, damit es uns nicht überfährt!“ Eva hob aufgeregt die Laterne hoch, um sie zu schwenken. „Hallo! Halloo!“ Aber das Schiff war riesengroß und es kam immer näher! Noch heftiger schwenkte Eva ihr buntfarbenes Lichtchen. Immer verzweifelter schrieen wir aus schon heiseren Kehlen! Auf einmal bekam das Papier schwarze Flecken und ehe wir uns besannen, war die bunte Laterne verbrannt! Eva schleuderte den Rest ins Wasser.
„Schnell! Rudern!“ „Schnell hier weg!“ Wir ruderten um unser Leben! Wir wussten, dass wir schleunigst aus der breiten Fahrrinne entkommen mussten!
Unser Boot schwankte jetzt schon mit den Schiffs-Wellen auf und ab. Kaltes Wasser kam herein gespritzt. Unsere Kleidung klebte vor Nässe.
„Weg, nur schnell weg von hier!“
Es war jetzt stockfinster geworden. Kein Mond, keine Sterne am Himmel. Nur die Lichter des Passagierschiffes beleuchteten die krausen Wellen.
Gerettet
Da, endlich waren wir aus der Gefahrenzone entronnen! Das dunkle Ufer konnte man schon erahnen. Der See wurde flacher. Nun stiegen wir aus und zogen das Boot bis zu dem langen Steg hinüber. Unsere Kniee zitterten. Wir weinten und lachten immer zugleich. Sprechen konnten wir nicht! Erschöpft ließen wir uns auf die warmen Bretter des Bootsstegs fallen.
In der Ferne sah man jetzt die hinteren Lichter des Schiffs und einen langen türkis-hellen Streifen im Wasser. Und man hörte noch eine ganze Weile die kurzen Wellen im Takt gegen die hölzernen Pfähle schlagen.
J. A.
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