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Das Tod-in-Venedig-Syndrom

Noch ein paar Gedanken zum Alter

In einem kleinen Bändchen aus der Reihe „Ausgewählte Kostbarkeiten“ von Johann Wolfgang Goethe – Lahr Edition lese ich folgenden Rat:

Es ziemt sich dem Bejahrten, weder in der Denkweise noch in der Art, sich zu kleiden, der Mode nachzugeben.“

Dazu fällt mir eine Szene aus der berühmten Novelle „Der Tod in Venedig“ von Thomas Mann ein.

Aschenbach beobachtet während seiner Ankunft in Venedig auf einem anderen Deck des Schiffes einige übermütige junge Männer, die sich angeregt unterhalten, scherzen, sich über die Vorübergehenden amüsieren und gegenseitig necken. Doch plötzlich erschrickt er, weil einer von ihnen, der wildeste gar, in Wirklichkeit gar kein junger Bursche, sondern ein aufgetakelter alter Mann ist.

Einer, im hellgelben, übermodisch geschnittenem Sommeranzug und kühn aufgebogenem Panamahut tat sich mit krähender Stimme vor allen anderen hervor…Kaum aber hatte Aschenbach ihn ein wenig genauer ins Auge gefasst, als er mit einer Art Entsetzen erkannte, dass der Jüngling falsch war. Das matte Karmesin der Wangen war Schminke, das braune Haar unter dem farbig umwundenen Strohhut Perücke, sein Hals verfallen…“ Später wird Aschenbach selber einen Friseur aufsuchen und sich die Haare und die Wangen färben zu lasen, um dem jungen polnischen Knaben, Tadzio, dessen Schönheit ihn überwältigt, zu gefallen.

Erotik mag sicher, wie in vielen Besprechungen dieses Werkes zu lesen ist, eine Rolle spielen. Erotische Anbetung der absoluten Schönheit und pädophile Empfindungen…

Aber auch ein Minderwertigkeitsgefühl dem eigenen, gealterten und reiferen Aussehen gegenüber.

Ich habe nie erlebt, dass Kinder es gerne sahen, wenn sich Erwachsene wie sie gaben, sich nach ihrer Mode kleideten, sich jugendlich schminkten, ihre durchlöcherten Jeans anzogen oder gar ihre speziellen Ausdrücke und Weltansichten übernahmen. Während sie ihre eigenen Lebenserfahrungen und Altersweisheiten hintan stellten.

Niemals werden Erwachsene deswegen als Ihresgleichen angesehen.

Warum also diese ganze Verkleidung, diese aufgesetzte Heiterkeit, die albernen Gesten, die ganze vorgetäuschte Jugendlichkeit? Ich vermute dahinter ein ganz anderes, ein viel einfacheres Geheimnis, zu dem ich ein altes Volkslied aus dem Altvatergebirge zitieren möchte. (Wo noch heute herrlich klare Quellen durch bezaubernde Mittelgebirgslandschaft rinnen und den Wanderer erfrischen.)

Und in dem Schneegebirge, da fließt ein Brünnlein kalt. Und wer das Brünnlein trinket und wer das Brünnlein trinket – bleibt jung und nimmer alt.“

Die ganze Mühe, ob mit Botox oder mit Schminke, ob mit Nachahmung von modischem Verhalten und jugendlicher Weltanschauung. Immer ist es im Hintergrund die Angst vor dem eigenen Alter, vor dem „Unsichtbarwerden“, vor der Einsamkeit – vor dem Tod.

Ob Goethe dies mit seinem Rat an die Bejahrten gemeint haben könnte?

J. A.

Zeichnung von Katja Hellmich zu dem Kinderbuch „Strtsch-brtsch-grtsch“ von Johanna Amthor, erschienen bei Büchermaus, MOHLAND Verlag  D. Peters Nachf. Goldebek

2 Kommentare

  1. Goldener Herbst

    Wieviel ~ Uschi Rischanek

    Vor wieviel Toren muss man stehen
    bis man dann an dem richtgen ist?
    In wieviel Lächeln muss man sehen,
    dass man das Eine nicht vergisst?
    Wer mag ermessen was macht Sinn
    worin das End und wo Beginn?

    An wieviel Kreuzungen wohl halten,
    bevor man sie dann überquert.
    Um weitre Wege zu gestalten
    die zukünftig dann nicht verkehrt.
    Denn Wertigkeiten relativ,
    obgleich manchmal lief soviel schief.

    Vermag man denn das Glück erzwingen
    und wenn es ging, blieb es auch da?
    Wer sagt uns denn, was mag gelingen
    und ob die Zukunft sonnenklar?
    An jedem neugebornen Tag,
    zu schaffen das was man vermag.

    Durch wieviel Tore, wieviel Lächeln
    wir noch in unsrem Leben sehn.
    An wieviel Kreuzungen und Wegen
    wir wann auch immer bleiben stehn.
    Gilt es die Hoffnung immer wahren,
    egal ob reich, ob arm an Jahren.

    © Uschi Rischanek
    text/rezitation
    Bild: Piotr Topolski
    Music: Ashot Danielyan Composer

    Hallo liebe Frau Amthor,

    falls Sie sich fragen, wo ich mich in den vergangenen Wochen versteckt habe.
    Ich werde es Ihnen verraten. Ich habe mich vor 30 Jahren dazu entschlossen,
    nicht mehr älter zu werden – und beinahe wär’s mir auch geglückt.
    Max Hayek ~ „Das Leben, das ich selbst gewählt…“
    Ich fand dieses Gedicht bei ihr … und danach war ich drei Monate älter.
    Gott bestraft die Wissenden und Sie dürfen jetzt raten womit.
    Vielleicht schauen Sie ja mal bei ihr auf fb oder yt vorbei.
    Sie und Ursula, mehr brauche ich nicht, um älter zu werden oder ewig jung zu bleiben.

    Liebe Grüße, O. H. ❤

    Ein uraltes Geheimnis besagt:
    ‚Würde einem im Leben die wahre Liebe begegnen – es bliebe augenblicklich, die Zeit für einen stehen.‘

    • Lieber Goldener Herbst, es ist gut dass Sie sich mit dem Alter nicht auf den Lebens-Herbst festlegen! Wenn Sie schon die Möglichkeit haben, auch die Lebensjahre nach dem Gedicht von Max Hayek zu wählen…. Herrlich! Das schöne Gedicht von Uschi Rischanek passt gut ergänzend zu den Gedanken von Goethe und auch zu Thomas Mann. Gerne schau ich mal bei Frau Rischanek herein. Ihre Gedichte gefallen mir sehr gut. Vielen Dank für ihren anregenden Kommentar!
      J. A.

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