Reiseberichte

Internationale Weltkonferenz der IMA in Tel Aviv

Tagebuch vom 21. bis 28. April 2009

Diesmal seien Ärzte aus 27 Ländern nach Tel Aviv gekommen, erzählte mir eine der Veranstalterinnen, aber von der Anzahl weniger als in den Jahren zuvor…

Tel Aviv, zu deutsch „Frühlingshügel“, feierte vor einigen Tagen gerade seinen 100. Geburtstag. Knapp so groß wie München, erinnert die Stadt sonst eher an Athen oder besser gesagt an eine Mischung aus Santa Barbara und Athen. Nur mit hunderten von weißen Häusern im Original-Bauhaus Stil. Dazwischen aber auch mit einigen Hochhäusern, die wie zu hochgewachsene Türme aus dem flacheren Würfelverband emporragen. Manche davon sind in den 60er Jahren als Hotels an der weißen Sand- und Tuffsteinküste erbaut worden, andere werden als Bürosilos vermietet. Immer wieder gibt es weit geschwungene, schön angelegte Parks mit Palmen und Büschen von rot oder weißblühendem Oleander und vor den Häusern sieht man schmale Gärten mit rotblühenden Hängesträuchern und Rosen. Außerhalb der weißen Stadt erkennt man noch die buschigen Kronen der saftig grünen Orangenbäume. Die meisten Plantagen wachsen um Jaffa, das neben dem ebenso malerischen ältesten Teil von Tel Aviv, dem Gründerviertel „Wohnstätte der Gerechtigkeit“ (Nve Tzedek) das die wahre Altstadt bildet. Schon seit biblischen Zeiten sind diese beiden Plätze besiedelt. Eine für das Christentum entscheidende Frage, nämlich die der Kashrut, wurde von Petrus in Jaffa, dem damaligen Joppe gelöst. (Petrus hatte auf dem Wege zu dem römischen Hauptmann Kornelius einen Traum, nach dem er die neuen Christen von den alten jüdischen Speisevorschriften entbinden durfte, so dass auch der heidnische Römer als Christ aufgenommen werden konnte.) Der Ort ist heute noch, hinter der katholischen Peterskirche in der Altstadt von Jaffa zu besichtigen.

Eine andere Besonderheit wurde uns bereits vor dieser Reise nach Tel Aviv berichtet. So soll die neue Stadt, die von russischen und rumänischen Siedlern gegründet worden ist, nicht wie sonst alle Mittelmeerstädte mit den Strassen zum Meer hin angelegt worden sein, was der Belüftung und dem ganzen Stadtklima besser getan hätte. Tel Aviv sei von jenen meer-unerfahrenen Neusiedlern mit seinen Hauptstrassen parallel zum Wasser hin gebaut.

Dem Strand hat dieser Fehler nicht geschadet. Er ist einfach wunderschön, weit und weiß. Gut, um im Cafe zu sitzen und auf das blaue Meer zu schauen. Gut aber auch für Surfer und Segler und natürlich Sonnenanbeter und Schwimmer, die sich in die hohen Wellen hinein wagen. Schön aber auch ist, den hügeligen Weg vom Hafen her bis hinter Jaffa zu Fuß zu entdecken oder mit dem Fahrrad abzufahren.

Die Stadt ist relativ sauber, es gibt kaum beschmierte Häuser. Dafür manchmal ganz kuriose Leitungen, die sich an den Wänden hocharbeiten und immer wieder Wäscheleinen aus den Fenstern und Warmwasserspeicher auf den Dächern. Tel Aviv ist wirklich eine südliche Stadt.

Dementsprechend südlich sehen auch die meisten Menschen aus. Mit bräunlichem Teint und dunklen Haaren. Die jungen Leute sehr attraktiv, die Mädchen von einer anderen Schönheit als zum Beispiel die polnischen Frauen mit ihren feineren Zügen. Fast alle tragen sie ihre Haare lang und offen und sind leicht aber modisch gekleidet. In den Cafes oder Hotels wird man von unglaublich vielen jungen Leuten bedient, die nicht immer sehr kompetent wirken. Sie alle werden beschäftigt, es scheint keine Arbeitslosen zu geben. Allerdings haben wir dann erfahren, dass die meisten dieser jungen Leute Studenten sind, die ohne Sozialversicherung arbeiten. Manche leben auch nur von dem Trinkgeld, das sie erhalten. Anfangs hat man noch das Gefühl, dass sich diese jungen Mädchen vielleicht zu ihren Gunsten verrechnen könnten. Bei näherem Nachrechnen ist dies kein einziges Mal geschehen. Man kann in Tel Aviv davon ausgehen, dass alle Berechnungen, auch die im Hotel schon stimmen. Tel Aviv haben wir in diesen Tagen ganz gut kennengelernt. Aber vor allem waren wir ja zu dem Kongress gekommen.

Ein Schwerpunkt dieser Tagung befasste sich mit neuesten medizinischen Techniken. Z. B. dass man jetzt anstelle der aufwendigen und für den Patienten sehr einschneidenden Herzklappenoperation am offenen Brustkorb mit Hilfe einer feinen Sonde über eine Arterie die neue Klappe durch die Aorta einführen kann. Die alte verkalkte Herzklappe wird einfach mit einer Art Ballon weggesprengt und die neue, die ähnlich wie ein Regenschirm gefaltet dort ankommt, eingehängt. Der Patient kann schon am nächsten Tag mit seiner neuen Herzklappe heimgehen.

Der zweite Schwerpunkt handelte um das Thema Ethik. Sehr interessante Fragen wurden dort erörtert. Ob man Erkenntnisse, die auf verbrecherische Weise, z. B. bei Menschenversuchen in Konzentrationslagern oder in Kriegen durch Folter (die auch von den jüdischen Ärzten streng abgelehnt wird) erlangt worden sind überhaupt anwenden darf? Daneben scheint auch die Frage der Schwangerschaftsunterbrechung nach der Geschlechtsbestimmung im Mutterleib (gerade in Indien) bereits schon ein Thema zu sein…

Die Tagung selbst fand im Hilton Hotel statt, einem mächtigen Hochhaus auf einem Felsplateau mit Blick auf das strahlend blaue Meer. Das Haus selbst erinnert allerdings in seiner Architektur mit seinen endlosen Balkonen an eine monumentale Borkenkäferfalle.

Trotzdem ist Tel Aviv eine schöne Stadt. Ein Schmuckstück dabei ist die lange Küstenseite und das ewig tanzende blaue Meer mit den weißen Schaumkronen auf den Wellen, auf denen unzählige Wellenreiter auf ihren kleinen Brettern gegen die Brandung schaukeln.

Auffallend aber sind auch die unzähligen Hunde, die hier ständig ausgeführt werden und für die sogar ein eigenes Ufer bereit gehalten wird, mit Hundeklos natürlich, denn die sorgfältig gepflegten Park- und Rasenflächen sind erstaunlich sauber. Bewässert werden alle Bepflanzungen in Israel über ein Netz von dünnen Schläuchen, die unter der Erde verlaufen. Auf diese Weise wird das wertvolle Nass den Wurzeln zugeführt, ohne, dass in der warmen Luft zu viel davon verdunsten kann.

Was man zur Sicherheit noch sagen sollte: dass es vor allen Hotels und Cafes ständig anwesende Sicherheitskräfte gibt. Ich habe nachgedacht, ob es für die Einwohner wohl das gleiche Gefühl sein mag, wie es die DDR Bewohner einmal gehabt haben müssen? Ich bin aber zu der Meinung gekommen, dass diese Leute nur zur Sicherheit der Bürger da sind. Um sie vor Mordanschlägen zu schützen! Nicht, um den Staat vor ausreisewilligen Bürgern zu schützen. Außerdem darf in Israel fast jede Meinung geäußert werden, auch gegen den Staat. Das geht sogar so weit, dass israelische Soldaten ihre Vorgesetzten öffentlich wegen einiger unmenschlicher Befehle im Gaza-Krieg anklagen durften, ohne für Leib und Ansehen zu fürchten! Man stelle sich diese Situation in der ehemaligen DDR Armee vor oder gar bei arabischen Soldaten gegenüber ihren Vorgesetzten…

Aber Sicherheitsvorkehrungen sind uns auf dieser Reise reichlich begegnet. Bereits auf dem Hamburger Flughafen wurden wir bis auf die Schuhsohlen genau auf Waffen oder Sprengstoff hin durchsucht. Selbst meine kleine Haarspraydose musste ich in Hamburg abgeben. In Frankfurt durchliefen wir dann noch einmal eine gründliche Kontrolle auf einem abseits gelegenen Teil des Flughafens, der für die Israelflüge bereitgehalten ist.

Abgesehen von den erwähnten Vorsichtsmaßnahmen in Tel Aviv, wird man später kaum noch an irgendwelche Gefahren durch Anschläge erinnert. Es scheint, als ob die Menschen diese Angst verdrängen würden. Und doch muß eine tiefe Sorge unter einer oberflächlichen Fröhlichkeit lagern. Weniger vor unmittelbar bevorstehenden Selbstmordanschlägen, als vielmehr, dass ihr Land durch die gleiche Missachtung dem Leben gegenüber bedroht sei, wie sie bereits in den menschenverachtenden Selbstmordanschlägen sichtbar wird. Nach den Zeitungsüberschriften, scheint man heute vor allem den Iran zu fürchten, der neben seiner steten Drohung, Israel total zu vernichten, wahrscheinlich auch Atombomben baut.

Öfters als bei unseren vorhergehenden Israelreisen, kamen wir diesmal auch mit älteren Einheimischen ins Gespräch. Fast immer stellte sich heraus, dass diese auch deutsche Eltern oder Großeltern hatten und dadurch noch ein paar Brocken oder sogar recht gut die deutsche Sprache beherrschten. Es waren immer freundliche Gespräche. Wie bei unseren früheren Besuchen, wurde uns auch niemals der Holocaust vorgehalten. Diese älteren Menschen zeigen oft noch in ihrem Aussehen, obwohl sie inzwischen in Israel geboren sind, europäische, russische oder auch „jüdische“ Züge. Während die jungen Leute, die sich aus den unzähligen Einwanderern dort entwickelt haben, eher spanisch, libanesisch oder griechisch, manchmal auch russisch aussehen.

Zu den russischen Einwanderern wurde uns erzählt, dass es seit der großen Einwanderungswelle 1992 in Israel ein vorher nicht gekanntes Alkoholproblem geben soll.

Außer den Vorträgen, gab es von dem Veranstalter her auch noch einige abendliche Höhepunkte. Der erste war ein Ballett der weltberühmten Theater – und Ballettakademie von Tel Aviv. Eine besondere Aufführung in einem wunderschönen äußeren Rahmen. Das Stück selbst modern, präzise, humorvoll, dabei mit ernsthaft philosophischem Hintergrund. Einmal gab es auch eine Einladung am Freitagabend zu einer jüdischen Sabbatfeier, dem traditionellen Essen mit alten Liedern und Segenssprüchen und mit leider etwas zähen Steaks.

Ein Höhepunkt für uns war zwischendurch ein Besuch des Diasporamuseums mit seiner wunderbaren Museumspädagogik und einer reizenden Direktorin, die uns in deutscher Sprache empfing. Sowie der Gang durch die gepflegte, von Studenten aus allen Ländern der Welt besuchte Universität.

Zum Abschluss fand dann noch ein gemeinsamer Abend mit den Ärzten statt, an dem vier jüngere, teilweise etwas üppige aber gut ausgebildete russische Opernsänger Arien von Mozart, Verdi und Donizetti sangen. Später folgten die für Israel typischen Reihen – und Reigentänze, wie man sie auch in der Türkei oder in Griechenland zu ähnlicher Musik tanzt.

April 2009

J. A.